Kann ich Verträge in der Ukraine- oder Pandemiekrise anpassen. Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage § 313 BGB
Sorgen der Ukraine-Krieg oder die Corona-Krise für den Wegfall der Geschäftsgrundlage?
Krisenbedingte Preissteigerung als Insolvenzrisiko
Zur Zeit macht die Krise des großen deutschen Gasversorgers Uniper Schlagzeilen. Der in langfristigen Versorgungsverträgen gebundene Gasimporteur muss am Markt Gas zukaufen – zu deutlich höheren Preisen – damit er seine Lieferverträge zu erfüllen kann. Jeden Tag macht der Konzern damit aktuell laut eigenen Aussagen einen zweistelligen Millionenverlust.
Eine Konstellation, die heute viele Unternehmen betriff. Einkaufspreise schießen durch die Decke und die Verträge mit den Verkaufspreisen sind lange gemacht. Verkäufer müssen daher im Einzelfall große Verluste befürchten, da ihre Verkaufspreise nicht mehr kostendeckend sein werden. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, die sich deshalb anbahnenden existenzbedrohenden Schwierigkeiten vieler Unternehmen vorzustellen.
Hier stellt sich die Frage, was die betroffenen Unternehmen juristisch dagegen tun können. Gibt es Möglichkeiten, sich in solchen Ausnahmefällen aus den bestehenden Preisverpflichtungen zu lösen?
- 313 BGB- Wegfall der Geschäftsgrundlage
Generell gilt mit gutem Grund der Leitsatz ‚pacta sunt servanda‘ sprich einmal geschlossene Verträge sind einzuhalten. Die Parteien müssen sich auf ihre Vertragstreue verlassen können, soweit nicht spezielle Gründe zur Auflösung des Vertrages berechtigen. Solche speziellen Gründe können im konkreten Vertragsverhältnis begründet sein, wie zum Beispiel Kündigung des Leistungsgläubigers wegen mangelhafter Vertragserfüllung des Leistungsschuldners.
Hier geht es aber um Gründe, die außerhalb des Vertrages oder dessen Anbahnung liegen. Normalerweise muss der Schuldner leisten können, wenn er sich vertraglich bindet. Sollte er dazu nicht in der Lage sein, so kann er sich gleichwohl nicht vom Vertrag lösen sondern macht sich im Zweifel schadensersatzpflichtig.
Allerdings kann diese Bindung natürlich ausnahmsweise grob unbillig sein, nämlich in Fällen, in denen nicht vorhersehbare Ereignisse nach Vertragsschluss die komplette Kalkulation sprich die an sich bei Vertragsschluss bestehende Lage komplett verändern.
Das Gesetz kennt für diese Fälle den Begriff des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“, der in § 313 BGB normiert ist.
- Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Klingt klar, ist es aber nicht. Denn diese Vorschrift enthält Begriffe, die erst durch Auslegung Gewicht erlangen. Um also Klarheit zu schaffen, bedürfte es an sich höchstrichterlicher Rechtsprechung. Bis vor kurzem gab es hier nur hundert Jahre alte Entscheidungen des Reichsgerichts (ua. Urteil des 7. Senats des RG, 10.12.1920 – VII 318/20), die in den Zeiten der Hyperinflation in der Weimarer Republik ihren Ursprung hatten. Seinerzeit hatte das Reichsgericht bestimmte Kriterien aufgestellt, die zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen könnten (!), wie z.B. eine 15-fache Steigerung der Anschaffungskosten, Zahlen von denen wir heute noch weit entfernt sind..
BGH zu den Voraussetzungen des § 313 BGB
Nunmehr gibt es jedoch drei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die sich im Rahmen der Corona-Pandemie mit der Frage beschäftigten, wann eine Geschäftsgrundlage tatsächlich in einem solchen Fall entfällt und welche weiteren Voraussetzungen vorliegen müssen, damit die Vertragserfüllung für den Teil, der betroffen ist, wirklich unzumutbar wird.
Alle drei beschäftigen sich mit den Auswirkungen der pandemiebedingten Maßnahmen auf Gewerberaumverhältnisse.
Das betrifft an sich nicht das von mir eingangs erwähnte Problem, gleichwohl ist es aber wichtig, da hier der BGH seine grundsätzliche Position zu den Voraussetzungen des § 313 BGB zu erkennen gibt. In diesen Fällen stellte sich immer die Frage, ob der Mieter zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet ist, obwohl die Behörden den Geschäftsbetrieb einstweilen aus Pandemiegründen untersagten und der Mieter somit aus Gründenso auch in dem nachfolgenden Fall des
Urteils des 12. Senats des BGH vom 12. Januar 2022 (XII ZR 8/21 (OLG Dresden)).
- Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache iSv § 536 I 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.
- Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 I BGB in Betracht
- Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.
Konsequenzen
Der erste Leitsatz ist in unserem Zusammenhang uninteressant. Interessanter ist vielmehr ad 1: die Feststellung, dass vorliegend ein Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorliegt, um dann ad 2 festzuhalten, dass es doch auf eine Abwägung im Einzelfall ankommt.
Im hier zitierten Sachverhalt führt er zu dieser Abwägung unter anderem aus:
„Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung oder eine Kündigung (§ 313 Abs. 3 BGB) rechtfertigt. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt (Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2014 – XII ZB 181/13 – FamRZ 2015, 393 Rn. 19 mwN; BGH Urteil vom 1. Februar 2012 – VIII ZR 307/10 – NJW 2012, 1718 Rn. 30 mwN). Deshalb kommt eine Vertragsanpassung zugunsten des Mieters jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn ihm ein unverändertes Festhalten an der vertraglich vereinbarten Miethöhe unter Abwägung aller Umstände einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung zumutbar ist (vgl. BGH Urteil vom 11. Dezember 2019 – VIII ZR 234/18 – NJW-RR 2020, 523 Rn. 20 ff.).“
Es kommt ganz darauf an
Hiermit lässt der BGH diejenigen, die Orientierung erwarten, wieder ziemlich alleine. Vielmehr formuliert er höchstrichterlich die berühmte Juristenantwort: „Es kommt ganz darauf an.“
Wichtig ist also lediglich die Feststellung, dass in den eingangs zitierten Fällen tatsächlich die Geschäftsgrundlage entfallen ist. Ob sich daraus dann auch der Anspruch des wirtschaftlichen Betroffenen zur Vertragsanpassung ergibt, hängt von vielen Einzelfragen ab. Im Ergebnis muss „das Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt“
Wie geht man also mit den Fällen des § 313 BGB um?
Generell kann man zumindest voraussetzen, dass die beiden einleitend zitierten Krisen durchaus zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen können. Insoweit hat der durch die Preis-Konsequenzen der Krise betroffene Vertragsteil selbstverständlich die Möglichkeit zumindest mit seinem Vertragspartner in Nachverhandlungen einzutreten. Ob eine gerichtliche Durchsetzung dieser Anpassung möglich wäre, lässt sich nur so beantworten:
Je höher die Wahrscheinlichkeit wird, dass der betroffene Vertragspartner durch das Festhalten am Vertrag in eine wirtschaftlich existenzgefährdende Situation kommt, desto größer ist seine Chance, sich aus den vertraglichen Pflichten zu lösen bzw. diese zu ändern.
Nachweisen muss diese Existenzgefährdung allerdings im Prozess der Betroffene.
Konsequenz: Anpassungsklauseln
Auf jeden Fall sollten neue Verträge mit entsprechenden Anpassungs-Klauseln versehen werden. Das ist wohl nicht ganz einfach. Diesem Thema werde ich mich an dieser Stelle zu einem späteren Zeitpunkt widmen.