Nettolohnoptimierung: Das SG Regensburg trifft eine bemerkenswerte Entscheidung (S 3 BA 30/ 18) mit Folgen

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Nettolohnoptimierung: Das SG Regensburg trifft eine bemerkenswerte Entscheidung (S 3 BA 30/ 18) mit Folgen

Grafik Sozialgericht Regensburg

Wer deutschlandweit vor Finanz- und Sozialgerichten in Verfahren auftritt, die ein  bestimmtes Modell rechtlich analysieren und bewerten, der lernt etwas über unterschiedliche Betrachtungsweisen in der Justiz. So geht es mir mit dem Thema Entgeltumwandlungen und den dazugehörigen Rechtsfragen.

Nun war ich vor einiger Zeit bei einer Verhandlung in Regensburg vor dem dortigen Sozialgericht, die in jeder Hinsicht außergewöhnlich war. Dies gilt sowohl für die  Verhandlungsführung selbst als auch die Entscheidungsbegründung, deren schriftliche Ausfertigung mir jetzt vorliegt. Nicht der wenig überraschende Tenor als vielmehr die Begründung macht diesen  Gerichtsbescheid so erwähnens- und bedenkenswert. Diese ist nicht nur nachvollziehbar sondern in ihrer Logik brillant. Eine Entscheidung, die Nachwirkungen haben kann beziehungsweise wird, wie ich dann letzte Woche vor dem baden-württembergischen Finanzgericht in Freiburg und dem Sozialgericht Landshut erleben durfte.

In der Verhandlung selbst ging es um den für Umwandlungen üblichen Sachverhalt. Arbeitnehmer verzichteten auf einen Teil ihres Bruttoarbeitslohn und erhielten in der Folge abgabenrechtlich begünstigte Leistungen. Die Sozialversicherungsprüfer der BfA akzeptierten dieses Vorgehen nicht und begründeten ihre Auffassung mit einer Steuergesetzänderung aus dem Jahr 2020 (§ 8 Abs. 4 EStG)

Zum Hintergrund:

Bestimmte Leistungen bedürfen für deren Abgabenfreiheit das sogenannte Zusätzlichkeitsmerkmal. Die Leistung ist nur dann abgabenfrei, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Lohn gewährt wird. Dieses Merkmal findet sich sowohl im Steuerrecht (z.B. § 40 Abs. 2 EStG) als auch im Sozialversicherungsrecht (§ 17 SGB IV i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV). Es  ist seit gut 12 Jahren heftig zwischen Rechtsprechung der Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit und der Verwaltung umstritten. Die zentrale Frage lautet, was ist der ohnehin geschuldete Lohn? Kann ich diesen durch eine Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien so verändern, dass ich die Zusätzlichkeit erst durch eine vorherige Arbeitsvertragsänderung herstelle? Genau diesen Mechanismus nutzen Optimierungsmodelle.  Der Lohn wird herabgesetzt und anschließend werden die Leistungen gewährt. Nach den Befürwortern ist dies rechtens.

Der 6. Senat des BFH hatte dies zunächst in seinen Urteilen vom 19. September 2012 (VI R 54/11 und VI R 55/11) noch verneint während der 12. Senat des BSG für das Sozialversicherungsrecht bejahte (u.a. BSG B 12 R 5/09 R). Nunmehr tauschten die beiden Gerichte ihre Auffassung. Der 6. Senat schloss sich in drei Entscheidungen vom 1. August 2019 der Rechtsauffassung des  BSG in der vorzitierten Entscheidung an (u. a. BFH VI R 32/18). Jetzt kam die Volte des BSG in seinem Urteil vom 23. 2. 2021 (B 12 R  21/18 R). Der 12. Senat des BSG geht nunmehr davon aus, dass auf dem beschriebenen Weg die Zusätzlichkeit nicht generiert werden kann, da die Vereinbarungen nicht isoliert betrachtet werden könnten sondern zusammen gehörten, weshalb es eben keine zusätzliche Leistung sei.  Nunmehr hat der Gesetzgeber diese Frage mit dem neuen Absatz 4 zu § 8 EstG entschieden und geregelt, dass die Zusätzlichkeit so nicht mehr generiert werden kann.

Die Entscheidung

Bei dieser Vorgeschichte setzte der Richter am Sozialgericht Regensburg an und gab der von mir erhobenen Klage  statt. Dabei stützte er sich aber nicht nur, wie sonst üblich, auf die Begründung des BFH sondern  führte auch verfassungsrechtliche Gründe für seinen Urteilsspruch ins Feld.

So heißt es in dem Gerichtsbescheid des SG Regensburg vom 20. Mai 2021 (S 3 BA 30/18) wörtlich:

„Über das, was Arbeitslohn ist und in welcher Lohnform (ohnehin geschuldet oder zusätzlich) er geleistet wird, entscheidet originär weder der Steuergesetzgeber noch die Steuerverwaltung (oder gar die Rentenversicherung). Dies festzulegen ist im Rahmen ihrer zivilrechtlichen Vertragsfreiheit Sache der Parteien des Arbeitsvertrages. Die zivilrechtliche Vertragsfreiheit ist Ausprägung des Verfassungsgrundsatzes der Privatautonomie als Bestandteil des Rechts auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Abs. 1 GG, hier, da es um berufliche Belange geht, verstärkt durch die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Sie gestattet es den Vertragsparteien, Verträge in jeder Hinsicht frei zu gestalten und jederzeit auch abzuändern (vgl. BVerfGE 95, 267). Ein öffentlich-rechtliches (steuerrechtliches) Fest­ hallen der Arbeitsvertragsparteien am ursprünglich einmal zwischen ihnen vereinbarten unter Ausblendung zivil-/arbeitsrechtlich wirksam erfolgter Änderungen wäre eine nicht gerechtfertigte Begrenzung der „beruflichen Privatautonomie“ (vgl. BFH, Urteil vom 01.08.2019, a.a.O., Thomas, DSIR 2018, a.a.O. fragt: Und warum sollte der Gesetzgeber in die Vertragsfreiheit eingreifen wollen?).“

Der Vorsitzende Richter der 3. Kammer des SG Regensburg, Teuschl, geht aber noch einen Schritt weiter. Er führt nämlich dann aus, dass eine solche Unterscheidung zwischen bestehenden und neu begründeten Arbeitsverhältnisse, bei denen man ja von vorneherein einen niedrigeren  Bruttoarbeitslohn mit den Zusatzleistungen vereinbaren kann, ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3  sei. Zu diesem Punkt führt er in der Urteilsbegründung aus:

„Hinzu kommt, dass ein solches Festhallen auch nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar wäre. Denn die Gewährung der steuerrechtlichen (und in der Folge der sozialversicherungsrechtlichen) Vergünsti­gung hinge dann allein von dem Zufall (vgl. Thomas, DStR 1997, a.a.O.) ab, was die Arbeitsvertragsparteien irgendwann in der Vergangenheit einmal vereinbart haben, obwohl sich eine arbeitsrechtlich wirksame Abänderung (Lohnformenumwandlung) für die Zukunft nicht von einer quasi in dieser Zukunft erstmals arbeitsrechtlich wirksam vereinbarten Neugestaltung mit ohnehin geschuldeten und zusätzlichen Lohnanteilen unterscheiden lässt, die verwaltungsseits begünstigend anerkannt würde. Das „böse Wort“ für einen solchen Zufall ist Willkür. Ein Beleg für einen solchen naheliegenden Gleichheitsverstoß (vgl. Thomas, DSIR 2018, a.a.O.) mag auch die kleine Bastelei des Gerichts im Erörterungstermin vom 31.03.2021 sein (sh. Anlage). Sie zeigt zwei mit transparentem Klebeband zusammengefügte Papierbögen im Format DIN A 4, die je etwa zu¾ aus gelben und zu etwa ¼ausweißen Papierstreifen bestehen. Der gelbe Streifen steht für ohnehin geschuldeten Lohn, der weiße für zusätzlichen, verwendungsgebundenen Lohn (z.B. in Form eines Internetzuschusses). Bei einem Papierbogen wurde der weiße ¼-Streifen zum gelben ¾-Streifen hinzugeklebt, beim anderen vom ursprünglichen ganz gelben 4/4-Blatt zunächst ein¼ Streifen abgeschnitten und danach durch einen weißen ¼-Streifen ersetzt. Im Erörterungstermin war es dem Beklagtenvertreter nicht möglich, zu unterscheiden, welcher Bogen die aus seiner Sicht nachträgliche begünstigungsschädliche Lohnumwandlung symbolisiert und welcher die begünstigte Neugestaltung. Wie auch, da beide Bögen im Ergebnis gleich sind?“

Wertung:

Es wird von dem RaSG Teuschl also insbesondere ein neuer Aspekt in die Diskussion eingebracht. Nach seiner Auffassung verstieße die herrschende Verwaltungsauffassung gegen den Verfassungsgrundsatz der Privatautonomie und den Gleichheitsgrundsatz.

Dieser Gesichtspunkt scheint so beachtlich, dass ich mich in einem gesonderten Beitrag  damit noch intensiver und detaillierter auseinandersetzen werde. Aber gerade die Erwägung, dass es an dem an sich für eine Ungleichbehandlung eines gleichen Sachverhalts erforderlichen sachlichen Grund fehlt, ist schlagend. Warum kommt ein neu in ein Unternehmen eintretender Mitarbeiter in den Genuss von Zusatzleistungen, die dem lange beschäftigten Arbeitnehmer versagt bleiben? Dies ist nicht plausibel.

Auch die gesetzliche Neuregelung des § 8 Abs. 4 EStG ist unter diesem Gesichtspunkt kritisch zu sehen. Dass er sachlich völlig misslungen ist und staatlichen Zielen zuwiderläuft, darauf wies ich auf dieser Seite schon hin. Alle Leistungen, die eine Abgabenfreiheit nach sich ziehen, sollen ja gerade begünstigt werden, um Verhalten zu lenken. Der Staat will schließlich die E-Mobilität durch die Begünstigung von pedelecs fördern. Mit der Vorschrift erreicht er das Gegenteil und macht fast jeden Förderungsansatz zunichte.

Wirkung:

Nun könnte man diese Auffassung ja lediglich für eine Einzelmeinung halten, hier belehrte mich jedoch der 2.  Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg in Freiburg eines Besseren. Während der Verhandlung von 4 Sachen, denen der gleiche Sachverhalt zugrunde lag, schaltete sich eine beisitzende Richterin in ein Wortgefecht zwischen der Vorsitzenden Richterin und den Vertretern der Finanzverwaltung ein. Sie verwies auf den hier besprochenen Gerichtsbescheid und führte dann zu der verfassungsrechtlichen Problematik aus. Sie teile die Auffassung des RaSG Teuschl und gab gleichzeitig zu erkennen, dass auch der § 8 Abs. 4 zumindest völlig misslungen, wenn nicht sogar verfassungswidrig sei.  Eine Auffassung, die nicht so einfach von der Hand zu weisen ist. Auch der Richter am SG Landshut setzte sich in der letzten Woche mit dem Bescheid auseinander.

Herr Teuschl  hat mit seiner Entscheidung einen Stein ins juristische Wasser geworfen, der Kreise zieht.