Der Verkaufsoffene Sonntag wird die rechtliche Ausnahme bleiben – Blaulichtmeile-Entscheidung des BVerwG vom 20. Juni 2020 (8 CN 3.19)

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Der Verkaufsoffene Sonntag wird die rechtliche Ausnahme bleiben – Blaulichtmeile-Entscheidung des BVerwG vom 20. Juni 2020 (8 CN 3.19)

Die sogenannte „Blaulichtmeile“, eine Veranstaltung des City-Managements MG, bei der sich im April 2019 verschiedene Rettungsdienste mit ihren Fahrzeugen präsentierten, schaffte es nun bis zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Sie gab dem Gericht die Möglichkeit auch die neuen nordrhein-westfälischen Regeln zu verkaufsoffenen Sonntagen zu beurteilen und diese zu konkretisieren. Die Entscheidung ist deshalb insbesondere für kommunale Räte von Interesse. Der Rat der Stadt Mönchengladbach hatte anlässlich dieser Blaulichtmeile einen verkaufsoffenen Sonntag genehmigt. Dieser verkaufsoffene Sonntag bezog nicht nur die Geschäfte in der Innenstadt sondern auch die in einem direkt an der Haupteinkaufstrasse belegenen Einkaufszentrums (Mino) ein. Die Gewerkschaft Ver.di  hatte gegen die ordnungsbehördliche Verfügung des Rates am 17.4.2019 Normenkontrollantrag beim Oberverwaltungsgericht Münster gestellt.

Zur Begründung machte sie geltend, der Bereich der Ladenöffnung umfasse nahezu das gesamte Hauptgeschäftszentrum von Mönchengladbach. Dort befinde sich auch das MINTO-Einkaufszentrum, das 104 Geschäfte mit einer Gesamtverkaufsfläche von 26.000 m2 umfasse. Dieses beziehe 2/3 der gebundenen Kaufkraft aus Bereichen außerhalb des Stadtgebiets Mönchengladbachs. Insgesamt seien nach Angabe der Antragsgegnerin 150 Verkaufsstätten geöffnet. Der Beschlussvorlage lasse sich nicht entnehmen, dass die Veranstaltung das Geschehen in dem für den Einkauf freigegebenen Bereich prägen könne. Die „Blaulichtmeile“ erschöpfe sich darin, an verschiedenen Stellen der Innenstadt Einsatzfahrzeuge verschiedener Hilfsdienste aufzustellen. Der Verweis der Stadt, es handele sich um die größte gemeinschaftliche Veranstaltung von 13 Hilfsorganisationen, sei nichtssagend, weil es wahrscheinlich auch die einzige Veranstaltung dieser Organisationen sei.

Das OVG hat den  Antrag abgelehnt und sich insbesondere auf die Änderung des Ladenöffnungsgesetzes in NRW bezogen.  Schon in den Vorjahren gab es in vielen anderen Städten immer wieder Streit um verkaufsoffene Sonntage, die insbesondere aus einer schwierigen Bewertung des Ladenöffnungsanlasses beruhten. Das Ereignis, auf dem der verkaufsoffene Sonntag beruhte, musste nämlich der eigentliche Grund sein, dass viele Menschen in die Innenstadt kamen. Die Ladenöffnung durfte nur Folge und nicht Grund der die Innenstadt aufsuchenden Menschen sein.  Dies führte dazu, dass die Landesregierung in NRW das Gesetz änderte. Der entscheidende § 6 Abs. 1 Ladenöffnungsgesetz lautet seitdem wie folgt:

§ 6

Weitere Verkaufssonntage und -feiertage

(1) An jährlich höchstens acht, nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Sonn- oder Feiertagen dürfen Verkaufsstellen im öffentlichen Interesse ab 13 Uhr bis zur Dauer von fünf Stunden geöffnet sein.

Ein öffentliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn die Öffnung

  1. im Zusammenhang mit örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen erfolgt,
  2. dem Erhalt, der Stärkung oder der Entwicklung eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebot dient,
  3. dem Erhalt, der Stärkung oder der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche dient,
  4. der Belebung der Innenstädte, Ortskerne, Stadt- oder Ortsteilzentren dient oder
  5. die überörtliche Sichtbarkeit der jeweiligen Kommune als attraktiver und lebenswerter Standort insbesondere für den Tourismus und die Freizeitgestaltung, als Wohn- und Gewerbestandort sowie Standort von kulturellen und sportlichen Einrichtungen steigert.

Das Vorliegen eines Zusammenhangs im Sinne des Satzes 2 Nummer 1 wird vermutet, wenn die Ladenöffnung in räumlicher Nähe zur örtlichen Veranstaltung sowie am selben Tag erfolgt. Bei Werbemaßnahmen des Veranstalters müssen die jeweiligen Veranstaltungen gemäß Satz 2 Nr. 1 für die Öffnung der Verkaufsstellen im Vordergrund stehen.

Die entscheidende gesetzliche Änderung war die in § 6 Abs. 1 Satz 3 aufgestellte Fiktionswirkung, nach der ein öffentliches Interesse an der Veranstaltung besteht, wenn diese in räumlicher Nähe zur Veranstaltung zu liegen. Damit wurde die früher übliche Berechnungsprognose von Besucherzahlen für die Geschäftsöffnungen und die Veranstaltung selbst stark eingeschränkt, kam es doch nur auf die räumliche Nähe an.

Das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr in seinem Urteil vom 20. Juni (8 CN 3/19) diese weitreichende Vermutungswirkung eingeschränkt. Diese sei vielmehr vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich geregelten Sonntagsschutzes auszulegen. Eine Prognose an sich wäre zwar weiterhin entbehrlich, wenn die gesetzlich vorgesehene und verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandende Vermutungswirkung eingriffe. Diese Fiktionswirkung sei jedoch an enge Voraussetzung geknüpft. Regelungen, mit denen eine Öffnung von Verkaufsstellen an Sonntagen erlaubt wird, müssen das verfassungsrechtlich geforderte Mindestniveau des Sonntagsschutzes wahren.

„Zwar ist es im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei einer sonntäglichen Ladenöffnung im öffentlichen Interesse, die im Zusammenhang mit örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen erfolgt, den Kommunen den Nachweis dieses Zusammenhangs durch eine Vermutungsregelung erleichtert. Greift sie ein, ist es zulässig, auf die Prognose der Besucherzahlen zu verzichten, die von der Veranstaltung einerseits und der Ladenöffnung andererseits angezogen werden. Doch ist die Vermutung an enge Voraussetzungen geknüpft, um den verfassungsrechtlich gebotenen Sonn- und Feiertagschutz zu wahren, und beim Eingreifen besonderer Umstände als widerlegt anzusehen. Solche Umstände können sich beispielsweise aus einem erheblichen Umfang der Zahl der geöffneten Verkaufsstellen sowie deren Fläche ergeben und Anlass zu der Annahme geben, dass unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses eine werktägliche Prägung in den Vordergrund tritt. Dies war hier im Hinblick auf ein von der Sonntagsöffnung erfasstes Einkaufszentrum der Fall. Auf einen Vergleich der zu erwartenden Besucherströme durfte daher nicht verzichtet werden. Da nach den bereits vom Oberverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen die Zahl der Besucher, die von der Ladenöffnung angezogen wurden, die Zahl der Interessenten an der „Blaulichtmeile“ weit überstieg, war die angegriffene Verordnung rechtswidrig.“

 

Damit wird die Prognoseentscheidung, die durch die Gesetzesänderung abgeschafft werden sollte, faktisch natürlich wieder eingeführt. Überall da, wo eine zu große Anzahl von Geschäften und eine etwas weniger populäre Veranstaltung zusammentreffen, werden im Zweifel wieder die Gerichte bemüht werden. Die Gewerkschaften, in dieser Frage sowieso sehr klagefreudig, werden das genau im Blick haben. Den Gemeindevertretungen kann man daher in Zukunft nur einen sehr zurückhaltenden Umgang mit der Festlegung von Verkaufsoffenen Sonntagen ans Herz legen. Eine Faustregel kann nur sein, je mehr erwartete Zuschauer, desto rechtmäßiger der Verkaufsoffene Sonntag. Nur von solchen Veranstaltungen gibt es eben nicht viele.